Lesser Ury (1861 – 1931)
Porträt Ernst Rathenau, ca. 1922/1925
Öl auf Leinwand, 53 × 71 cm
Jüdisches Museum Berlin

Lesser Ury schuf das Porträt in den Jahren,
als Ernst Rathenau Graphiken des Künstlers
im Euphorion Verlag veröffentlichte.





Ernst Rathenau und der Euphorion Verlag

Der Euphorion Verlag wurde 1920 von dem Büchernarren Abraham Horodisch und dem Buchhändler und Graphiker Siegfried Pfankuch in Berlin gegründet. Das Ziel der beiden war es, literarische Meisterwerke in handgebundenen Luxusausgaben – teilweise mit Originalillustrationen von Marcus Boehmer, Magnus Zeller oder Klaus Richter – zu produzieren und zu vertreiben. Zwischen 1920 und 1924 erschienen 35 Titel, zumeist Klassikerausgaben, etwa Werke von Cervantes, Goethe, Heinrich Heine oder den russischen Novellisten. Ab 1922 tritt als weiterer Geschäftszweig die Herausgabe von Originalgraphiken hinzu. Die ersten Veröffent­lichungen sind Radierungszyklen von Lovis Corinth und Ludwig Meidner. Die Erweiterung des Verlagsspektrums macht eine Erweiterung der Kapital­basis notwendig, die durch den Eintritt des jungen Ernst Rathenau gesichert wird. Die fachliche Betreuung dieses neuen Verlagszweigs liegt in den Händen des Kunsthistorikers Hubert Baumgärtel, der ebenfalls in die Firma einsteigt.

Um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, wird 1922 eine Kunst­handlung in der Fasanenstr. 85 in Berlin eröffnet. Zugleich übernimmt der Euphorion Verlag die Edition des bis dahin bei Gustav Kiepenheuer erschienenen graphischen Mappenwerks Die Schaffenden. Paul Westheim hatte die Zeitschrift in Mappenform 1918, noch im Jahr der Auflösung des Kaiser­reichs gestartet, die aus der zeitgenössischen graphischen Produktion „das künstlerisch Wertvollste, menschlich Lebendigste, für zukünftige Kultur­gestaltung Bedeutsamste“ herausheben sollte. Schon die erste Mappe hatte eine Auswahl aus den (auch aus heutiger Sicht) wichtigsten Vertretern der aktuellen Kunstszene geboten: Pechstein, Heckel, Mueller, Schmidt-Rottluff, Klee, Feininger, Rohlfs und Paula Modersohn-Becker.


Die Schaffenden –
Eine Zeitschrift in Mappenform

um. 1920, Hrsg. Paul Westheim
Gustav Kiepenheuer Verlag, Potsdam


Unter der Regie und dank der Finanzierung durch Ernst Rathenau erscheinen im Euphorion Verlag zwischen 1922 und 1932 insgesamt 12 Mappen mit zusammen 120 Graphiken. In einer Studie über Die Schaffenden (1984) charakterisiert Friedemann Berger Rathenau als engagierten Kunstmäzen. „Er war davon besessen, Kunstwerke zu sammeln, andere zum Sammeln anzuregen, Editionen herzustellen und zu verkaufen.“

Hatte während der Inflation die Flucht in Sachwerte zu einer Hochkon­junktur für bibliophile Bücher und Graphikeditionen gesorgt, brach der Markt mit der Währungsreform im November 1923 zusammen. Die veränderte Situation macht eine Umstrukturierung des Verlages notwendig, in deren Verlauf sich Ernst Rathenau als „der bei weitem Kapitalkräftigere“ (Horodisch) durchsetzt. Gerade da viele Konkurrenten die wirtschaftliche Krise nicht überstanden haben und besonders viele Künstler kaum noch ihr Existenzminimum sichern können, beschließt er als Gegenoffensive den neuen Verlagsschwerpunkt auf Graphikeditionen und Oeuvrebände expressionistischer Künstler zu legen. Die Entscheidung führt dazu, dass nach und nach die anderen Teilhaber ausscheiden, weil der Verlag nicht mehr genug abwirft. Horodisch geht 1925 als Erster, ihm folgen Pfannkuch und Baumgärtel. Ab 1927 ist Ernst Rathenau der alleinige Inhaber des Euphorion Verlags.

Allein seine finanzielle Unabhängigkeit ermöglichte es Rathenau, das hohe Qualitätsniveau und das eng begrenzte Verlagsprogramm bis 1933 aufrecht­zuerhalten. Er stammte aus einer großbürgerlichen, kultur­begeisterten und politisch ebenso wie wirtschaftlich einflussreichen, jüdischen Familie. Sein Vater, Georg Rathenau, war Architekt und hatte u.a. die Gebäude für die Kaufhäuser Grünfeld konzipiert. Seine Mutter, Marie, war die Tochter von Marcus Kappel, einem bedeutenden Sammler deutscher, niederländischer und flämischer Malerei des 16. und 17. Jahr­hunderts. Sein Großvater, Moritz Albert Rathenau war der Bruder des AEG-Gründers Emil Rathenau, des Vaters von Walther Rathenau.

Unter dem Einfluss von Ernst Rathenau werden die Werkverzeichnisse expressionistischer Künstler zum neuen Verlagsschwerpunkt: 1924 erscheint als erster Band Karl Schmidt-Rottluff Graphisches Werk bis 1923 von Rosa Schapire. Es folgen Verzeichnisse zu Ernst-Ludwig Kirchner, Emil Nolde und Edvard Munch (zwischen 1926 und 1928), die der Hamburger Sammler Gustav Schiefler betreut. Von der neuen Reihe Graphik der Gegenwart, die Rathenau 1931 beginnt, erscheint nur der erste, Erich Heckel gewidmete Band. Der Versuch Rathenaus nach Westheims Emigration noch im Dezember 1933 eine Mappe mit Arbeiten Otto Pankoks zu edieren, scheiterte ebenso wie die Neuauflage des 1932 erschienenen Oeuvrekatalogs zu den Handzeichnungen Oskar Kokoschkas. Das Buch wird zwar 1935 noch gedruckt, aber bereits in der Druckerei von der Gestapo beschlagnahmt.


Erich Heckel, Graphik der Gegenwart Band 1,
Euphorion Verlag, Berlin 1931.


Erich Heckel, Graphik der Gegenwart Band 1, Euphorion Verlag, Berlin 1931.
Mit 5 Orig.-Holzschnitten und 48 Abbildungen.


1938 emigriert Ernst Rathenau nach der „Arisierung“ seines Verlags durch die Nationalsozialisten in die USA und arbeitet zunächst als Fotograf.





Rathenau als Büchermacher und Autor

Die Monographien und Werkverzeichnisse, die Ernest Rathenau konzipierte, zeichnen sich durch ein sehr sachliches Erscheinungsbild, inhaltliche Präzision und hohe Druckqualität aus. Im Gegensatz zu den literarischen Werken in Luxusausgaben, die der Euphorion Verlag produziert hatte, verzichtete er weitgehend auf alles schmückende Beiwerk, konzentrierte sich auf möglichst detailgenaue Reproduktionen und entwickelte dadurch einen ganz eigenen Stil, der die Distanz der jungen Kunst, die er propagierte, zu bürgerlichen Konventionen reflektierte. Sein Purismus zeigt sich besonders in der Gestaltung. Als Titelmotive für den Umschlag beschränkte er sich meist auf die Signatur oder das Monogramm des Künstlers, in einzelnen Fällen – etwa bei Karl Hofer. Das Graphische Werk – entschied er sich für die Abbildung eines Kunstwerks. Der Name des Künstlers und der Titel, ebenfalls als Tiefprägung, fanden sich stets nur auf dem Buchrücken.

Bei der Wahl der Autoren bemühte sich Rathenau stets Persönlichkeiten zu finden, die sich intensiv mit der Materie auseinandergesetzt hatten und den Künstler persönlich und das Werk im Original kannten. Seine Entscheidung Rosa Schapire, Sammlerin und eine der ersten Frauen, die an einer deutschen Universität in Kunstgeschichte promoviert hatten, für den Oeuvrekatalog zu Schmidt-Rottluff (1924) einzuladen, zeigt seine Bereitschaft akademische Hierarchien zu durchbrechen. Kennerschaft war für ihn die entscheidende Kategorie und Werktreue seine Forderung an die Autoren – sich selbst eingeschlossen. Denn Rathenau war nicht nur ein umtriebiger Verleger und Herausgeber von Büchern zur zeitgenössischen Kunst, sondern schrieb auch selbst kenntnisreiche Texte und stand stets in engem Austausch mit den Künstlern. So berichtet er beispielsweise:
„E. L. Kirchner hat jedes Wort des Manuskripts geprüft und selbst Korrektur gelesen. Ich erhielt von ihm während der Herstellung Hunderte von Briefen, die am letzten Tage des Zweiten Weltkriegs vernichtet wurden. Es ging so weit, dass ich Kirchner Fahnenkorrekturen schicken musste. Er selbst hat den Umbruch auf rosa Durchschlagpapier geklebt.“

Rathenaus Texte liefern keine Interpretationen der Kunstwerke, sondern zielen in erster Linie auf die möglichst lückenlose Erfassung, kritische Bestandsaufnahme und detaillierte Beschreibung des zur Diskussion stehenden Werkblocks. In seinen editorischen Anmerkungen zu dem Buch Karl Hofer. Das Graphische Werk, das erst nach dem Tod des Künstlers erschien, berichtet er etwa über die Probleme, die er – auch aufgrund der Zerstörung des Ateliers Hofers mit allen dort gelagerten Werken während des Zweiten Weltkriegs – bei der Klärung des ursprünglichen Bestands hatte. „Monatelang habe ich alte Kunstzeitschriften durchgesehen. Das Ergebnis war äußerst gering. (…) Auch das Studium zahlreicher kunst­wissenschaftlicher Bücher war nicht aufschlussreich. Alte Versteigerungs­kataloge haben mich oft in die Irre geführt…“ Häufig beschäftigte sich Rathenau über Jahre mit der Zusammenstellung eines Bandes, um möglichst sicherzugehen, alle potentiell wichtigen Informationen zusammen­führen zu können. Fragen, die er nicht beantworten konnte, sprach er stets direkt an, etwa wenn er ein Blatt nicht im Original gesehen und deshalb Zweifel an der Zuschreibung hatte. Vielleicht ist es dieses Bemühen durch umfangreiche Recherchen und im Vertrauen auf die eigene Kennerschaft – jedoch frei von jeder Anmaßung – das Werk eines Künstlers so komplett und präzise wie möglich darzustellen, das die Texte von Ernest Rathenau bis heute lesenswert macht.


Monographien und Werkverzeichnisse,
erschienen im Ernest Rathenau Verlag zwischen 1961 und 1973


1) Karl Schmidt-Rottluff, Berlin 1964   2) Erich Heckel, Berlin 1973   3) Oscar Wilde, Karlsruhe/Berlin 1963   4) Gustav Schiefler   5) Edvard Munch





Der Fotograf Ernst Rathenau

Schon in den 1920er und 1930er Jahren hatte Ernst Rathenau fotografiert und besonders Porträts von Künstlern, die er selbst aufgenommen hatte, veröffentlicht. Sein besonderes Augenmerk als Fotograf galt dem Menschen. Geprägt durch einen neusachlichen, jede Inszenierung meidenden Stil, interessierte ihn weniger die außergewöhnliche Situation als das Einfangen einer Befindlichkeit in der Realität.

Nach seiner Emigration aus Deutschland machte er die Fotografie zunächst zu seinem Hauptberuf und nutzte besonders seine ausgedehnten Reisen um sein Bilderarchiv zu erweitern. 1945 erschien dann sein erstes Fotobuch Orientals. People from India, Malaya, Bali, China herausgegeben von Horst P. Horst im JJ Augustin Verlag in New York. In den 50er Jahren, als er bereits wieder begonnen hatte zwischen Europa und Amerika zu pendeln, veröffentlichte der Fretz & Wasmuth Verlag in Zürich Kinder vieler Länder (1956), ein Buch, das ebenso wie die von Edward Steichen zusammengestellte Ausstellung Family of Men, die 1955 im Museum of Modern Art ihre Premiere feierte und dann in zahlreichen Städten auf der ganzen Welt gezeigt wurde, ein starker Appell war, die Würde des Menschen zu achten. 1960 erschien dann als letztes Fotobuch Rathenaus Das Bild des Alters – wieder im Fretz & Wasmuth Verlag in Zürich – in dem er Bilder Unbekannter neben Porträts von Künstlerinnen und Künstlern zeigte. Neben anderen enthält der Band Fotografien von Gerhard Marcks, Renée Sintenis, Annette Kolb, Erich Heckel und Lionel Feininger.


Fotobücher Kinder vieler Länder
undKinder vieler Länder

Fotobücher von Ernest Rathenau